Interview mit Handwerkspräsident Reiner Möhle Es braucht ein Pflichtpraktikum im technischen Bereich

Wie steht es um das Handwerk in Osnabrück und im Emsland? Ein Interview mit Kammerpräsident Reiner Möhle über Preise, Fachkräfte, Rente und die Ausbildung.

Reiner Möhle
Handwerkskammer

Herr Möhle, in den vergangenen Jahren zeichnete das Handwerk eine gewisse Robustheit aus, damit war es in der Konjunkturumfrage im Herbst vorbei. Hat sich die Stimmung seither wieder gefangen?

Das 20-Jahres-Tief war schon ein ordentlicher Absturz. Er war aber vor allem der schlechten Erwartungshaltung der Betriebe geschuldet – zu einer Zeit der Unsicherheit, in der über Preisbremsen noch nicht entschieden war. Die Lage selbst war gut und ist es auch heute. Allerdings bleibt die Sorge, ob das auch in Zukunft so bleiben wird. Wie pessimistisch Betriebe sind, hängt dabei stark von der Branche ab.

Inwiefern?

Die erheblichen Mehrkosten für beispielsweise für Material und Löhne bleiben. Auch wenn der Großteil der Handwerker mit den Hilfsmaßnahmen gut zurechtkommen werden. Weitestgehend können die gestiegenen Kosten weitergegeben werden. Das bedeutet aber auch, dass es für Kunden teurer wird, einen Handwerker zu bestellen.

Kann sich das noch jeder leisten?

Es wird sicherlich Kunden geben, die das nicht mehr können. Man merkt ja auch an anderer Stelle, dass beispielsweise Bauprojekte zurückgestellt oder aufgegeben werden. Das hat auch Auswirkungen auf das Handwerk. Ob gestoppte Projekte in manchen Betrieben zu Leerlauf führen werden, wird sich zeigen.

Wie geht es weiter für das Handwerk?

Ich bin optimistisch und glaube, dass die nächste Konjunkturumfrage deutlich positiver ausfallen wird. Den Absturz zuletzt muss man auch in Relation setzen: In den letzten Jahren hat es gerade im Baubereich eine Überhitzung im Markt gegeben, die Betriebe sind über ihre Grenzen gegangen. Das wird jetzt auf ein Normalmaß zurückgefahren. Die Nachfrage im Baugewerbe sowie in allen Gewerken, die mit der Energiewende zu tun haben, bleibt hoch. Die Perspektive ist also nicht so schlecht wie im Herbst 2022. Wir dürfen auch nicht zu sehr schwarz malen.

Um diese Aufträge abarbeiten zu können, braucht das Handwerk allerdings Fachkräfte. Gelingt es in diesen Zeiten besser, Mitarbeiter zu gewinnen?

Wenn man ehrlich ist, nein. Das wird auch dazu führen, dass wir die Ziele der Bundesregierung im Wohnungsbau und bei der energetischen Sanierung nicht oder nur schwer erreichen können. Das Handwerk hat weiterhin große Probleme, Personal zu finden. Und die Gründe dafür ändern sich leider nicht. Es fehlt der Nachwuchs aus den eigenen Reihen. Hier bräuchten wir nicht nur eine stabile Zahl an Azubis, sondern in vielen Bereichen mehr als zuvor. Hinzukommt zu allem Übel, dass die erfahrenen Leute in Rente gehen. Die Rente mit 63 war ein Fehlschuss.

Gerade das Handwerk wird jedoch immer wieder als Beispiel herangezogen, warum ein früheres Renteneintrittsalter nötig ist.

Persönlich freue ich mich auch für jeden Einzelnen, der nach vielen Beitragsjahren abschlagsfrei in den wohlverdienten Ruhestand gehen kann. Das ist keine Frage, und man kann auch niemandem vorwerfen, von einer solchen Möglichkeit Gebrauch zu machen. Aber aus gesundheitlichen Gründen ist das in vielen Fällen nicht nötig.

Begrüßen Sie also die Diskussion über einen deutlich späteren Renteneintritt?

Das nicht, es würde schon reichen, wenn Mitarbeiter bis zum offiziellen Renteneintrittsalter den Betrieben erhalten blieben. Dann wären wir schon ein ganzes Stück weiter. Mitarbeiter in der Verwaltung und im Kundendienst könnten deutlich länger arbeiten. Die Rente mit 63 war ein Wahlgeschenk.

Jetzt wird zusätzlich darüber diskutiert, Mitarbeiter ein Jahr in „Bildungszeit“ zu schicken…

… Noch so eine Schnapsidee. Es ist mir ein Rätsel, was Hubertus Heil (SPD) mit diesem Vorschlag erreichen will. Egal in welche Branche man schaut, nicht nur im Handwerk, herrscht Personalmangel. Und dann sollen Betriebe Mitarbeiter ein Jahr freistellen? Das verstehe ich nicht. Natürlich ist Weiterbildung wichtig, in jedem Beruf. Aber so? Ich verstehe das nicht.

Ältere, erfahrene Mitarbeiter sind das eine, Ihnen fehlt aber auch die Jugend. Warum?

Oftmals erreichen wir die Schülerinnen und Schüler gar nicht. In den Hauptschulen, Oberschulen und Realschulen haben wir ein gutes Standing. Gerade dort werden die Schüler jedoch weniger, immer mehr junge Leute gehen aufs Gymnasium. Das sind nicht primär diejenigen, die am Ende auch eine Ausbildung im Handwerk beginnen. Im Gegenteil: Die Lehrer bereiten die Schüler gezielt auf ein Studium vor. Das bedeutet, dass nicht nur wir im Handwerk, sondern auch die IHK noch gezielter auf die Schulen zugehen müssen.

Wie kann das klappen, dass am Ende mehr junge Menschen für sich eine Zukunft im Handwerk – oder ganz allgemein in der Ausbildung – sehen?

Es braucht ein Pflichtpraktikum im technischen Bereich. Ein nicht unerheblicher Teil des Arbeitslebens darf den Schülerinnen und Schülern nicht vorenthalten werden, weil sie die Information dazu nicht haben. Hier müssen sich auch die Gymnasien weiter öffnen – nicht nur gegenüber dem Handwerk, sondern grundsätzlich gegenüber der dualen Ausbildung.

Hängt der Nachwuchsmangel nicht vielleicht auch mit der Vergütung zusammen?

Eins vorweg: Es braucht eine faire Bezahlung der Azubis, doch eine Ausbildungsvergütung kann nicht mit einem Gehalt gleichgesetzt werden. Wer in diesem Jahr seine Lehre beginnt, erhält im ersten Jahr mindestens 620 Euro. In vielen Branchen ist es deutlich mehr, das ist aber zugegebenermaßen von Beruf zu Beruf unterschiedlich.

Die Ausbildung ist das eine, künftige Verdienstmöglichkeiten das andere …

… Auch hier muss sich das Handwerk längst nicht mehr verstecken. Viele Gehälter liegen weiter über Tarif, denn Handwerker sind nun einmal Mangelware. Nehmen wir beispielhaft das Sanitär-, Heizung- und Klima-Handwerk. Hier liegt das Grundgehalt am ersten Tag nach der Gesellenprüfung in der Lohngruppe 3 jetzt ab 1. April bei 2.523 Euro. Nach drei Jahren erfolgt automatisch eine Hochstufung. Wer als Kundendienst- oder Baustellenmonteur unterwegs ist, wird noch höher eingruppiert. Und das ist das unterste Lohnniveau.

Wie viele Betriebe sind denn tarifgebunden?

Im Handwerk gilt: Innungsbetriebe zahlen dort, wo es einen Tarif gibt, nach Tarif. Das betrifft in unserem Kammerbezirk den absoluten Großteil der Betriebe. Das heißt auch: Wir haben kein Geldproblem mehr, das war früher anders. Zumal die Perspektiven im Handwerk gut sind. Als Meister und Betriebsinhaber – das belegen auch Studien – ist der Verdienst vergleichbar mit dem von Akademikern. Das geht aber leider oft unter.

Nina Kallmeier: Handwerkspräsident: Es braucht ein Pflichtpraktikum im technischen Bereich, Interview mit Reiner Möhle; NOZ, 21.01.2023